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Sonntag, 10. Dezember 2017

Das Wasser steigt - Die gefährliche Seite des Reichtums

Als Thomas S. Kuhn (Harvard University) in seinem 1962 erschienenen Buch "Structure of Scientific Revolutions" vom Begriff "Paradigma" sprach, meinte er das jeweils vorherrschende Gedankengerüst in der Wissenschaft, die Art und Weise zu denken, eine bestimmte Weltanschauung, und mit "Paradigmenwechsel", den Übergang von einem Paradigma zu einem anderen, das heißt, dass eine Art zu denken von einer anderen abgelöst wird. Doch warum sollte dies nur innerhalb des Fachgebiets der Wissenschaftstheorie der Fall sein und nicht auch auf andere Bereiche der Technik und Gesellschaft zutreffen?

Dies führt mich zu folgenden Fragen: Warum wohl engagieren sich im Westen so wenige Menschen für den Klimaschutz und den damit notwendigen technologischen Veränderungen? Warum ist es ein kaum aktiv gelebtes Mehrheitsthema? Warum lässt die Erderwärmung so viele im Westen dennoch kalt? Und ich spreche nicht von denen, die hierzulande tagtäglich im Strudel des Existenzkampfes sind und die soziale Kälte bereits in vollen Zügen erfahren, denen das Wasser bis zu Halse steht, sondern von denen, die vermögend sind und wirklich etwas tun könnten.

Eine Antwort auf diese Fragen ist sicherlich nicht so sehr an der Information, am Wissen um den Klimawandel, am Informieren der Öffentlichkeit, an der Steigerung des Wissens der Öffentlichkeit um umweltschutzrelevante Zusammenhänge gelegen. Denn mit der Schaffung und Schärfung des Bewusstseins für Umweltschutz hat man wohl in erster Linie die Menschen des Globalen Südens und nicht die mit viel Informationen versorgten und mit viel Wissen ausgestatteten Menschen des Westens, des Globalen Nordens und der sogenannten entwickelten Länder im Blick - von den Leugnern abgesehen. Es liegt somit, neben der unmittelbaren Betroffenheit, vielmehr an der Bereitschaft und nicht an der Bildung.

Denn sehr viele Menschen hierzulande aber auch andernorts in der sogenannten entwickelten Welt hält von der aktiven Beteiligung am Klimaschutz die auf Bequemlichkeit gebaute Furcht davor ab, es könnte sich durch ihre aktive Beteiligung etwas an ihrem global gesehen vergleichsweise guten Leben, das sie "angefüttert" in den letzten Jahrzehnten so sehr gewohnt wurden, zum Schlechteren hin ändern. Drum tun sie lieber nichts - unterstützen Umweltschutzmaßnahmen und dafür eintretende Bewegungen höchstens passiv oder dulden sie gar nur - frei nach der Devise: "Never Change A Running System!". "Doch für wen rennt es eigentlich gut?", müsste man fragen.

Was Umweltschutz anbelangt, geht es also in der "entwickelten Welt" nicht um ein Bildungs-, Wissens- oder Informationsdefizit, das so viele Menschen abhielte sich aktiv am Umweltschutz zu beteiligen, auch nicht um den mangelnden politischen Willen, auf den man sich gerne hinausredet, sondern um die teils stark ausgeprägte mangelnde Bereitschaft jedes Einzelnen, etwas an seinen liebgewonnenen Gewohnheiten zu ändern, - braucht es doch, wie aus der Psychologie und unserem eigenen Leben bekannt, nur wenige Tage um eine Gewohnheit zu entwickeln, doch häufig viele Jahre, um diese wieder abzulegen - verbunden mit zur Alltäglichkeit gewordenen Annehmlichkeiten, die der vermögende Mensch des Globalen Nordens wie selbstverständlich genießt, alltägliche Privilegien, in deren Genuss die vergleichsweise wenigen Globalisierungsgewinner kommen, auf Kosten der Legionen an Globalisierungsverlierern, die dafür schuften und tagtäglich bluten.
Es scheint sich also auf einen Endkampf zuzuspitzen zwischen immer weniger Globalisierungsgewinnern und den in der Zahl immer größer werdenden Legionen an Globalisierungsverlierern, wobei weltweite Migrationsströme aufgrund der durch Umweltzerstörung unbewohnbar gewordenen Zonen nur die Vorboten sind.

Das rückt den Otto-Normal-Globalisierungsgewinner in der sogenannten Ersten Welt perspektivisch ein großes Stück in Richtung der Globalisierungseliten, die die Führungsetagen multinationaler Konzerne bevölkern und eben nichts am bestehenden System, besser wohl an der für sie bestens funktionierenden Maschinerie, ändern wollen, und, wie sie auftreten und argumentieren, ganz und gar nicht umzustimmen sind.
Es ist nachvollziehbar, wenn auch nicht verständlich - da jene Eliten zu gut und zu lange Unsummen mit der alten Technologie verdient haben - das Gros der deutschen Automobilindustrie ist ein Paradebeispiel dafür, dass ganz bewusst Jahrzehnte lang auf der Bremse gestanden wurde, was den Übergang zu umweltfreundlichen Technologien betrifft - und es ihnen viel zu ungewiss ist, ob sie nach der Umstellung auf neue umweltfreundliche Technologien damit jemals wieder so viel Geld scheffeln werden können, wie mit der altbewährten umweltschädigenden Technologie.

Denn mit Raubbau, Zerstörung und Vernichtung lässt sich in den Köpfen jener Eliten antizipiert viel mehr Geld machen, als mit Schonung, Erhalt und Nachhaltigkeit, ganz zu schweigen von den auf Raubbau, Zerstörung und Vernichtung bauenden für einige Wirtschaftsführer lukrativen militärischen Konflikten, die alle Konfliktparteien zur Aufrüstung zwingen. "Der Krieg ist der Vater aller Dinge", hallt es aus der griechischen Antike.

Doch Moment! Das allein genommen wäre zu kurz gegriffen, denn dazu kommt noch ein entscheidendes psychologisches Moment, wonach die altbewährte Technologie, die im Wesentlichen Umweltzerstörung, Ausbeutung von Mensch und Natur in Kauf nimmt, nur Ausdruck sozialer Unterdrückungsverhältnisse ist, womit Raubbau, Zerstörung und Vernichtung, letztlich Unterdrückung und Ausbeutung vielmehr dem entspricht, wie jene Wirtschaftselite nach oben gekommen ist, groß wurde und nicht zu vergessen oben geblieben ist. Das alles entspricht jenen viel mehr als ihnen jede neuartige nachhaltige Form der Technologie und des gedeihlichen Zusammenlebens verspricht.

Da nun keine Technik vom Himmel gefallen ist, sondern jede Technik dem Geist der Ingenieure und jener, die diese gut bezahlten Mitarbeiter für ihre Dienste entgelten, entspringt und dem entspricht, was sich jene vorstellen können, ist die Technologie, die wir entwickelt haben, die Technologie unserer Welt, im Wesentlichen nur der Ausdruck der psychische Verfasstheit unserer Welt und Gesellschaftsform, angeführt von viel zu vielen nur auf Gewinn orientierten und daher sehr oft asozialen Subjekten. Damit ist unsere herkömmliche Technologie, etwa der Verbrennungsmotor, im Gegensatz zu anderen umweltschonenden Technologien, die jedoch aus guten letztlich schlechten Gründen seit vielen Jahrzehnten unterdrückt werden, nur der Spiegel der Erdenbewohner, nur der Brennstrahl, an dem die Welt verbrennt.

Demnach werden sehr viele in den laut Wirtschaftsstatistik entwickelten Länder - die letztlich durch Raubbau und Umweltzerstörung im großen Stil erst zu entwickelten Ländern geworden sind - weit weniger aus Gründen der Auswirkungen des Klimawandels auf sie vom Umweltbewusstsein erreicht und ergriffen. Denn die Hauptlast der Auswirkungen der systematischen Umweltzerstörung tragen die Bewohner des Globalen Südens, denen das "Wasser" schon bis zum Kinn reicht.

So werden viele Bürger der sogenannten Ersten Welt und einstige Globalisierungsgewinner wohl erst von den Auswirkungen der globalisierten Umweltzerstörung erfasst, wenn sie feststellen müssen, dass sie sich aus sozioökonomischen Gründen vieles in ihrer Umwelt, das unseren Planeten schädigt und zerstört und in der Herstellung auf massiver Umweltschädigung beruht und damit unser aller Existenzgrundlage weltweit bedroht, nicht mehr leisten können. Das heißt, wenn sie finanziell abgehängt, aus dem Markt und an der Teilnahme am Markt gedrängt werden, weil die Produkte nur mehr für Wenige leistbar sind, die in ihren hohen Türmen und Gated Communities in den wenigen noch bewohnbaren Gebieten leben, in der "verbotenen Zone", wohin die übergroße Zahl der mittellosen Menschen aus den unbewohnbar gewordenen Zonen des Erdballs zu flüchten abgehalten wird, um sich in Sicherheit zu bringen.

Dann bedürfen jene Wenigen vor den Arbeitslosen und den immer ärmer werdenden "Working Poor", die "praktischerweise" für die Politik nicht in der Arbeitslosenstatistik aufscheinen, immer größeren Schutz, um jene Produkte und Technologien weiter zu nutzen, die so viele Ressourcen und so vieles schädigen und nachhaltig zerstören. Denn zynisch gesprochen verstehen genau das sehr viele Angehörige jener Wirtschaftseliten unter Nachhaltigkeit: Nachhaltige Zerstörung von Ressourcen und des sozialen Friedens, über die sie ihre Taschen füllen.

Um dem entgegenzuwirken, braucht es dringend einen Paradigmenwechsel, eine Abkehr vom verantwortungslosen neoliberalen Turbokapitalismus, der den Raubbau an der Umwelt und die soziale Ungleichheit weiter treibt und verschärft, hin zu einer verantwortungsvollen "Ökosozialen Marktwirtschaft", deren Modell bereits von der UN-Vollversammlung zur Korrektur der Auswirkungen des Neoliberalismus beschlossen wurde, zu dem leider viele an den Schalthebeln der Macht, vom Markt getrieben und auf Geldgier spezialisiert, im Sinne ihrer "Hinter-mir-die-Sintflut-Mentalität" nicht im geringsten ethisch bereit und dazu anscheinend auch nicht geistig im Stande sind.

Systemischer Analyst und Philosoph
Dr. Dr. Immanuel Fruhmann