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Montag, 12. Januar 2015

Der asoziale Klassenprimus

Übersetzt man die gegenwärtige geopolitische Situation Europas aufs Klassenzimmer, wird schnell klar, dass es jede Menge armer Schüler gibt, die sich die Markenklamotten und High-end Produkte nicht leisten können und bestenfalls neidvoll auf die Produkte der Cool Kids blicken.  

Auf der anderen Seite gibt es die reichen Kids, die in der Schule alles finanziell in der Hand haben und bei denen viele Schulden haben. Und der Anführer dieser Klicke von Cool Kids ist ein Schüler namens Deutschland. Er ist der beste seiner Klasse, zumindest ist er darum bemüht in allem der Beste zu sein. Und da sind wir nun: Aufgrund der über Jahre praktizierten anhaltenden negativen Außenhandelsbilanz Deutschlands innerhalb des Euroraums hat Deutschland die übrigen Länder Europas sukzessive finanziell ausbluten lassen.

So haben die armen Länder Europas über Jahre all die guten Produkte Deutschlands gekauft, ohne dass sie das Geld dafür wirklich hatten. Damit mehrten diese Länder den Reichtum Deutschlands, nicht direkt eines jeden deutschen Arbeitnehmers, aber den einer großen Zahl deutscher Unternehmen. Die Produkte waren auf Schuldenbasis gekauft. Und volkswirtschaftlich hätte es auch gut funktionieren können, wenn 'die Deutschen' - und damit meine ich im Besonderen einen Großteil deutscher Firmen - anstatt hauptsächlich den Shareholder Value zu bedienen, die eingenommenen Gelder auch wieder durch Investitionen und das Schaffen von Arbeitsplätzen für Einheimische in jene Schuldnerländer zurückfließen hätten lassen. Auch 'jeder Deutsche', der in diese Länder auf Urlaub fährt, brächte sein Geld über den Tourismus wieder in Europas Süden zurück, also in jene Länder, deren Bürger ihr Geld über zuvor aus Deutschland importierte Produkte ausgegeben haben. Diese Kreisläufe des wirtschaftlichen Gebens und Nehmens haben unter dem Stichwort 'ausgeglichene Außenhandelsbilanz' jahrelang gut funktioniert. Doch seit der Einführung des Euro glauben viele, das sei jetzt ein gemeinsamer Wirtschaftsraum und daher innerhalb des Euroraumes nicht mehr anzuwenden. Wenn es schon innerhalb Deutschlands nicht ohne Finanzausgleich der deutschen Ländern funktioniert und die reicheren Länder den ärmeren Ländern Geld geben, wie könnte das innerhalb der Länder der Eurozone ohne diesen Finanzausgleich funktionieren?

Doch durch den weltweiten Wirtschaftsliberalismus sind diese Kreisläufe obsolet geworden und es existieren keine ausgeglichenen Außenhandelsbilanzen mehr und viele Länder bleiben hoch verschuldet auf der Strecke.
Und Deutschland entschied sich über Jahre, seit der Einführung des Euros 2002, ganz im Sinne des wirtschaftsliberalen Denkens gegen ein langfristig vernünftiges Denken, und ließ die individuellen ausgewogenen Außenhandelsbilanzen besonders innerhalb der Eurozone im falschen Glauben, so etwas wäre nur zwischen unterschiedlichen Währungen notwendig, unberücksichtigt. So konzentrierte man sich ganz darauf, das Geld, den Euro, anderer Euro-Länder, über hochwertige Waren abzuschöpfen. 
Man muss sich also nicht wundern, wenn ganze Landstriche in Südeuropa verarmen, sich das Geld in Deutschland sammelt, die arbeitslosen Angry Young Men and Women dem Geldfluss folgen, nach Deutschland wandern und in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart versuchen einen Job zu finden, da sie in ihren eigenen südeuropäischen Ländern durch die ruinierte Wirtschaft auf Jahre hinaus keine Beschäftigung mehr finden. Und in diesen deutschen Städten treffen sie dann auf die osteuropäischen Wanderarbeiter und auf andere Flüchtlinge und Migranten aus anderen Regionen dieser Welt, sodass viele Deutsche jetzt Angst vor Überfremdung bekommen und sich in gewohnt beängstigender Manier der 1930er formieren und auf die Straße gehen.

Und nun, da die Wirtschaft dieser Länder am Boden liegt, können sie die Schulden an die ausländischen Banken nicht zurückzahlen. Man könnte nun diesen bei Deutschland hoch verschuldeten Ländern den Vorwurf machen, warum sie Deutschland auf den Leim gingen, indem sie die glitzernden und strahlenden deutschen Produkte Deutschland abkauften, wenn sie es sich doch ohnehin nicht leisten konnten. Sie hätten es also besser wissen müssen, sie hätten es besser wissen müssen als der gefinkelte durchstrukturierte Deutsche, der die beste aller Fallen ausgelegt hat. Sie hätten den Deutschen nicht in die Falle gehen dürfen. Doch sie konnten nicht widerstehen. Die Verführung war zu groß. Und die Falle schnappte zu.
Somit, wenn man jemandem den Vorwurf für das Ungleichgewicht machen möchte, dann dem, der es wegen seiner Überlegenheit wirklich besser hätte wissen müssen: Deutschland, der Fallensteller. 

Dem hochorganisierten und vergleichsweise am wenigsten korrupten Deutschland gilt es den Vorwurf zu machen. Warum haben die Entscheidungsträger in Deutschland in Wirtschaft und Politik es überhaupt soweit kommen lassen - wo war der hochgelobte Weisenrat - und haben Ländern Dinge über Schulden verkauft, die diese sich aller Voraussicht nach und allem guten Menschenverstand nach nicht leisten können und niemals zurückzahlen werden können. Doch solange man Schulden machen kann, ist das ja scheinbar kein Argument dagegen.
Gründe für dieses deutsche Fehlverhalten sind entweder blanke Dummheit, kurzsichtige Raffgier das Geld der Welt an- und abzusaugen, es dem Markt zu entziehen und auf deutschen Konten zu parken, oder aber es zeigt sich Deutschland wiedermal von seiner besten Seite, einer seiner Haupttugenden, seiner sozialen Inkompetenz, seinem Mangel an Einfühlungsvermögen.

Denn aus Sicht der Mehrheit der deutschen Entscheidungsträger darf dem Wettbewerb und der Wettbewerbsfähigkeit, also dem der deutschen Wirtschaft wesensimmanenten Konkurrenzgedanken, nichts und schon gar nicht kooperative Menschlichkeit und Weitsicht im Wege stehen. Das hat die deutsche Mentalität mit der amerikanischen gemeinsam.

Das eine ist, dass die Deutschen stolz auf ihre Produkte und ihre Qualitätsarbeit sein können dürfen, das andere ist jedoch, dass die deutsche öffentliche Meinung in den Schuldnerländern einfordert, sie mögen doch auch so produktiv sein wie sie selbst, was einer Verhöhnung ihrer Opfer gleichkommt, und zu allem Überfluss wird von der deutschen Öffentlichkeit dabei darauf vergessen, dass nicht jeder Europäer die 4. These Martin Luthers - die wahre Herzensbuße - den aufrichtigen lebenslangen Selbsthass - seit nun fast 500 Jahren mit der Muttermilch aufgenommen und verinnerlicht hat, was zu solch einer durchaus außergewöhnlichen deutschen Dauerhöchstleistung führt und führte, noch diesen puritanischen Selbsthass will.

Das alles macht Deutschland nicht nur zum reichsten, sondern allmählich auch zum einsamen kurzsichtigen Klassenprimus, dem es nicht an der Wettbewerbsfähigkeit mangelt, aber sicher an der Fähigkeit zur Weitsicht und zum sozialen Empfinden und dem Sinn für Gerechtigkeit und Balance. Es braucht daher eine neue Form des Wirtschaftens, fernab der klassischen Betriebswirtschaft, sodass die deutsche Staatenlenkung nicht nur durch betriebswirtschaftliche Sicht mit Mangel an systemischen Verständnis betrieben wird, sondern durch eine ausgewogene und die Bevölkerung in ihren Bildungshintergründen ganzheitlich repräsentierende Zusammenstellung, die Nachhaltigkeit und Kooperation auf Basis von systemisch nachhaltigen Kreisläufen in den Vordergrund stellt, und nicht nur wie in deutscher Öffentlichkeit heute noch weit verbreitet, dass der Beste sich auf Kosten der anderen durchsetzt.

Dr. Dr. Immanuel Fruhmann
Philosoph und Systemischer Analyst